oder

„Mit Herrn Müller“ oder „mit Herr Müller“? Wieso das „-n“ sich vom „Herrn“ verabschiedet

Ich soll das Herr Müller geben. Nicht wenige haben in der Schule immer wieder eingetrichtert bekommen, dass man nicht Herr Müller etwas gibt, sondern wenn, dann Herrn Müller. Aber wie das immer so ist: Nur weil einige der Meinung sind, dass eine bestimmte Konstruktion nicht gesagt werden soll, heißt das noch lange nicht, dass sie auch nicht gesagt wird – wegen dem lässt an dieser Stelle ganz lieb grüßen. Wir schauen uns daher heute in alter Zwiebelmanier an, warum das –n überhaupt am Herrn dran ist und warum es bei Herr Müller gerne mal wegfällt. Endlich mal wieder eine Morphologie-Zwiebel!

Wie kommt das –n an den Herrn?

Diese Frage ist für Zwiebelfans leicht zu beantworten. Bei Herr handelt es sich um ein schwaches Maskulinum. Das bedeutet, dass Herr in allen Kasus ein –n aufweist außer im Nominativ Singular. Wir haben also:

Nominativ: der Herr
Genitiv: des Herrn
Dativ: dem Herrn
Akkusativ: den Herrn
Plural: die Herren

Nun ist es so, dass Herr ein etwas untypisches schwaches Maskulinum ist. Zwar verweist es auf Menschen – das ist eine ganz typische Eigenschaft von schwachen Maskulina – aber es sieht nicht so aus wie so ein richtig tolles schwaches Maskulinum. Dafür müsste es mehrsilbig sein und auf Schwa enden so wie Matrose oder Gehilfe. Mehr dazu könnt hier in dieser Zwiebel erfahren.

Das bedeutet, dass Herr ohnehin schon mal eher dazu neigen könnte, sein –n abzuwerfen. Dasselbe sehen wir zum Beispiel beim Pfau(en): Neben Ich sehe den Pfauen kann man auch Ich sehe den Pfau sagen. Case closed? Nein, ganz so einfach ist die Lage beim Herr(n) nicht.

Warum die Sache beim Herr(n) nicht so einfach ist

Beim Herrn haben wir eine viel speziellere Lage als bei anderen schwachen Maskulina. Herr kann ja einerseits als ganz normales Substantiv verwendet werden: Ich helfe dem Herrn bei der Suche nach einem Café. Andererseits kann es zusammen mit einem Nachnamen genutzt werden: Ich helfe Herrn Müller bei der Suche nach einem Café. In der Linguistik nennen wir das dann Apposition. Uns geht es in dieser Zwiebel gar nicht um das stinknormale Substantiv, sondern nur um die Verwendung zusammen mit einem Nachnamen. Und hier gibt es noch einige Gründe, warum das –n wegfällt. Die schauen wir uns jetzt genauer an.

Die Sache mit den Eigennamen

Das wichtige an Herr + Nachname ist der Nachname. Namen sind speziell und werden nicht so behandelt wie andere Substantive. Das liegt an der Natur von Eigennamen: Anders als Substantive haben sie keine Bedeutung, sondern hängen einfach wie ein Etikett an Menschen. Zwar baut man oft eine emotionale Beziehung zu seinem Namen auf, aber eine Eleonore könnte auch Lisa heißen, wenn ihre Eltern sich eben dazu entschieden hätten, diesen Namen statt des anderen zu wählen.

Ganz wichtig bei Namen ist auch, dass sie immer gut erkannt werden müssen, denn es gibt sehr viele Namen. Das ist eine Herausforderung für unser Gedächtnis. Deshalb ist es wichtig, dass man Namen gut wiedererkennen kann. Und daher werden Namen kaum flektiert. Somit ändern sie ihre Form so gut wie nicht. Egal, ob man Eleonore im Nominativ, Dativ oder Akkusativ verwendet, die Form ist immer gleich. Das höchste der Gefühle ist das Genitiv –s: Eleonores Buch. Dieses Prinzip haben wir in einer anderen Zwiebel schon als Wortkörperschonung kennengelernt.

Herr ist natürlich selbst gar kein Name, aber es steht nun einmal mit einem Namen. Herr ist zwar nicht Teil des Namens, aber dennoch sehr eng mit dem Namen verbunden. Daher ist es nur logisch, auch hier das –n wegzulassen, so wie der Name ja auch abseits vom Genitiv nicht flektiert wird. So ahmt Herr einfach das Verhalten von Nachnamen nach, mit denen es verwendet wird.

Hier kommt noch hinzu, dass das weibliche Pendant Frau ebenfalls keine Endungen aufweist: Ich spreche mit Frau Müller. Das liegt daran, dass Frau generell keine Kasusendungen im Singular hat. Wenn jetzt der Herr seine Kasusendungen ebenfalls weglässt, dann haben wir ein einheitliches System.

Die Sache mit dem Artikel

Neben der Nähe zu Eigennamen gibt es noch einen weiteren Grund für das Wegfallen des –n bei Herr. Das ist die Artikellosigkeit. Das –n bei Herr fällt nämlich dann weg, wenn Herr + Nachname ohne Artikel verwendet wird: Ich habe mich bei Herr Müller erkundigt geht also ganz gut, aber Ich habe mich bei dem Herr Müller erkundigt nicht so gut. Namen stehen in der Regel ohne Artikel, weswegen hier die Chance zur Variation ziemlich oft besteht.

Es gibt einen guten Grund, warum die An- oder Abwesenheit von Artikeln darüber entscheidet, ob Kasusendungen genutzt werden oder nicht. Den Kasus kann man dem Artikel vor allem im Maskulinum ansehen:

Nominativ: der, ein Herr
Genitiv: des, eines Herrn
Dativ: dem, einem Herrn
Akkusativ: den, einen Herrn

Der Artikel macht immer eine Klammer auf, die sich erst schließt, wenn das Bezugsnomen folgt, das im selben Kasus steht wie der Artikel: Der riesengroße, Bananen fressende Affe. Wenn dieses Bezugswort einfach ohne die Kasusendung steht, die es eigentlich sonst immer hat, dann ist es nicht mehr so gut als Bezugswort zu erkennen. Wenn ich aber gar keinen Artikel habe, dann muss ich auch kein Bezugswort finden. Deswegen kann hier die Flexion entfallen.

Genau das ist bei Herr der Fall: Es steht eben meist ohne Artikel und dann kann man sich die Flexion auch sparen.

Zusammenfassung: Herr Müllers Leben ohne –n

Wir können festhalten, dass es viele Gründe dafür gibt, dass dem Herr Müller das –n abhanden kommt und er damit ganz gut leben kann:

  1. Herr hat als untypisches schwaches Maskulinum ohnehin Schwankungspotential weg von den Endungen mit –n.
  2. Bei Herr + Nachname haben wir eine spezielle Situation. Nachnamen werden kaum flektiert. Herr passt sich daran an. Zudem hat Frau auch keine Endungen, sodass wir hier ein einheitliches System erhalten.
  3. Herr + Nachname steht meist ohne Artikel und kann daher unflektiert bleiben.

Wenn das nächste Mal jemand die Endungslosigkeit von Herr beklagt, wisst ihr jetzt, was ihr antworten könnt.

Zum Weiterlesen:

Schmitt, Eleonore (2023): Frequenz. Prototyp. Schema. Ein gebrauchsbasierter Ansatz zur Entstehung grammatischer Varianten.

Ein Kommentar zu „„Mit Herrn Müller“ oder „mit Herr Müller“? Wieso das „-n“ sich vom „Herrn“ verabschiedet

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..