Wörter machen Sachen

Adventszeit oder Adventzeit?

Endlich Adventszeit! Da kann man wieder täglich ein Türchen im Adventkalender öffnen, schöne Adventslieder singen und jeden Adventsonntag eine neue Kerze am Adventskranz anzünden.  Moment einmal, irgendetwas scheint hier durcheinander geraten zu sein in der besinnlichen Adventzeit – oder ist es doch die Adventszeit? Wir schauen uns in dieser weihnachtlichen Zwiebel die Variation bei dem Fugenelement s in Wörtern an, die mit Advent– beginnen.

Fugenelemente: Tanne+n+baum und Weihnacht+s+mütze

Wir haben vor einiger Zeit schon einmal darüber geschrieben, wie wir im Deutschen Wörter zu größeren Wörtern, genauer: Komposita, zusammensetzen und was dabei an der Grenze zwischen den Wörtern geschieht. Aus Tanne und Baum wird der Tannenbaum. Das n in der Mitte, das weder zu Tanne noch zu Baum gehört, das nennen wir in der Sprachwissenschaft ein Fugenelement.  Die meisten Fugenelemente gehen ursprünglich auf Genitivendungen zurück, auch wenn sie heute diese Bedeutung nicht mehr haben. Die Kapitänsmütze ist die Mütze des Kapitäns.

Aber nicht alle Fugenelemente haben diese Bedeutung: Der Tannenbaum ist ja schließlich nicht ‚der Baum der Tanne‘, sondern einfach eine Unterart der Gattung Baum. Noch deutlicher wird das bei Wörtern wie Weihnachtsmütze. Weihnacht hat im Genitiv überhaupt kein s (der Zauber der Weihnacht), also kann das s in Weihnachtsmütze nur als Fugenelement interpretiert werden.

Wenn die Fuge schwankt

Viele Wörter haben sich auf ein Fugenelement festgelegt, mit dem sie immer auftreten. So sprechen wir nicht nur von der Weihnachtsmütze, sondern auch vom Weihnachtsmann und Weinachtsplätzchen – immer mit dem s in der Mitte. Manche Wörter können sich aber nicht recht entscheiden und schwanken in der Wahl des Fugenelements. So gibt es Kinderlieder und den Kindergarten, aber auch das Kindswohl und Kindsköpfen. Kind nimmt also mal er und mal s als Fuge bei der Bildung von Komposita. Und dann gibt es noch Wörter, die manchmal mit und manchmal ohne Fugenelement stehen. So gibt es den Tagträumer ohne Fugenelement und den Tagessatz mit es-Fuge. Und manchmal gibt es auch den Fall, das ein Kompositum mit und ohne Fugenelement im Umlauf ist. So gibt es zum Beispiel sowohl das Gesangbuch ohne Fugenelement und das Gesangsbuch mit Fugen-s.

Regionale Unterschiede

Es hängt aber nicht nur von dem ersten Wort im Kompositum ab, ob ein Fugenelement gewählt wird und wenn ja, welches. Es gibt dazu auch noch regionale Unterschiede. Als Faustregel kann man sich merken, dass Komposita, die in Deutschland ohne Fugenelement auftreten, in Österreich normalerweise häufiger mit Fugen-s verwendet werden. Das gilt zum Beispiel für Komposita mit dem Erstglied Geschenk: In Deutschland wird an Weihnachten viel Geschenkpapier verwendet, in Österreich eher Geschenkspapier. Auf dem Rückweg vom Weihnachtsbesuch hat man in Deutschland dann die Gepäckstücke voll mit Geschenken, die man im Zug auf die Gepäckhalter hieven muss, während man in Österreich ebenfalls versucht, Gepäcksstücke auf Gepäcksträger zu klemmen. Dieses Muster gilt noch für viele weitere Komposita, die zum Beispiel mit dem Wörtern Werk(s)-, Fabrik(s)-, Gelenk(s)- oder Überfall(s)- beginnen. Aber diese Regel hat eine für uns heute relevante Ausnahme: Für Advent(s)wörter gilt sie nämlich nicht.

Bei Advent(s)komposita sind die Vorlieben genau andersherum. In Deutschland kommen sie fast ausschließlich mit Fugen-s vor, während man sich das s in Österreich spart. Das heißt, dass man in Österreich Varianten wie Adventkalender und Adventkranz vorzieht, in Deutschland lauten diese Wörter dagegen Adventskalender und Adventskranz. Das könnt ihr sehr eindrücklich in dieser Karte sehen, die aus der Variantengrammatik des Standarddeutschen stammt:

Eine Karte, die Deutschland, die Schweiz und Österreich zeigt. In Tortendiagrammen ist pro Region der Anteil von "Advent-" und "Advents-" angezeigt. In Deutschland dominieren klar Formen mit "Advents-", während es in Österreich andersherum ist.
Abbildung 1: Die regionale Verteilung von „Advent-“ und „Advents-“ (http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Datei:Advent_advents.png).

Im ganzen Gebiet Deutschlands dominieren stark die Formen mit Advents-, in Österreich sind die Anteile fast umgekehrt und Advents– kommt so gut wie gar nicht vor.

Leider liefert die Variantengrammatik uns aber keine Antwort auf die Frage, warum die Fugenelemente im Allgemeinen und Advent(s)wörter im Speziellen diese regionalen Unterschiede aufweisen. Das müssen wir als einen Teil des Weihnachtszaubers wohl vorerst einfach so akzeptieren. Mir hat das aber ehrlich gesagt noch nicht ganz ausgereicht. Ich wollte noch mehr über Advent(s)wörter wissen.

Viele schöne Advent(s)wörter

Zusätzlich zu der regionalen Verteilung habe ich mir deshalb angeschaut, ob unterschiedliche Komposita mit Advent- lieber mit oder ohne Fuge stehen. Vielleicht sagen Leute ja Adventkalender, aber Adventssingen? Um das herauszufinden, habe ich eine Korpusanfrage im Kernkorpus des Digitalen Wörterbuchs der deutschen Sprache (DWDS) gemacht. Darin sind Zeitungen, Romane, wissenschaftliche und andere Texte aus dem Zeitraum 1900 bis 1999 enthalten. Es gibt auch ein Korpus mit Texten aus dem 21. Jahrhundert, aber da gab es leider nur so wenig Advent(s)belege, dass sich die Auswertung gar nicht gelohnt hat. Also habe ich eben im 20. Jahrhundert nachgeschaut. Und dort habe ich 103 passende Treffer gefunden, die zu 39 verschiedenen Wörtern gehören. Am häufigsten waren Advent(s)zeit (27 Treffern), Advent(s)sonntag (14 Treffer) und Advent(s)kranz (12 Treffer).

Von meinen Advent(s)belegen kommen 30 nur mit s vor: Adventsabendkaffee, Adventsandacht, Adventsbewusstsein, Adventsevangelium, Adventsfrühstück, Adventsgemüse, Adventsgesteck, Adventskalender, Adventskant, Adventskerze, Adventskranzständer, Adventskreis, Adventsliturgie, Adventsmenü, Adventsmoral, Adventsmusik, Adventspaket, Adventspredigt, Adventssingen, Adventsspiel, Adventsständer, Adventsstern, Adventsstimmung, Adventsstollen, Adventstag, Adventsteil, Adventsvigilie, Adventswelt, Adventswoche und Adventszyklus.

Viel seltener sind Wörter belegt, die immer ohne s stehen: Adventleuchter, Adventfeier, Adventabend und Adventnacht kommen nur so und nie mit Fugen-s vor.

Und nur eine kleine Gruppe von Wörtern zeigt tatsächlich Schwankungen, nämlich Advent(s)kranz, Advent(s)lied, Advent(s)messe, Advent(s)sonntag und Advent(s)zeit. Fast bei allen davon ist die Form mit s häufiger. Nur die Advent(s)messe und das Advent(s)lied zeigen einigermaßen ausgeglichene Verhältnisse, aber das liegt wahrscheinlich daran, dass es für die beiden Wörter so wenig Belege im Korpus gibt. Es gibt je einen Treffer für Adventmesse und Adventsmesse, Adventslied kommt immerhin dreimal vor und die s-lose Variante Adventlied ist nur einmal belegt.

Das ist eine bunte Mischung, auf die ich mir ehrlich gesagt noch keinen Reim machen kann. Weil ich insgesamt nur ungefähr 100 Treffer gefunden habe, kommen die meisten Wörter in meiner Stichprobe jeweils nur einmal vor. Deshalb kann ich leider nicht so richtig viel darüber sagen, wie die Varianten regional oder in verschiedenen Textsorten oder so verteilt sind. Ich kann nicht einmal wirklich etwas darüber sagen, ob meine Treffer tatsächlich repräsentativ sind. Advent(s)kalender habe ich zum Beispiel nur in der Variante mit s gefunden, aber ich weiß, dass die Form ohne s in Österreich weit verbreitet ist – sie steht sogar als besonders österreichische Form im Duden.

Was lernen wir nun daraus? Komposita schwanken in Bezug darauf, ob sie mit Fugenelementen vorkommen und wenn ja, welche das sind. Außerdem schreiben Leute offensichtlich nicht häufig genug Wörter, die mit Advent(s)- anfangen. Wir könnten uns für das neue Jahr einmal vornehmen, das gemeinsam zu ändern. Und vielleicht könnt ihr ja an den noch verbliebenen Advent(s)abenden darüber rätseln, was einige Wörter zur Annahme des s verleitet und andere nicht. Oder vielleicht muss auch das vorerst ein weiteres Advent(s)geheimnis bleiben.

Zum Weiterlesen:

(e)s-Fuge / Nullfuge bei Substantivkomposita“ in der Variantengrammatik des Standarddeutschen. http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/(e)s-Fuge_/_Nullfuge_bei_Substantivkomposita

„Advent- / Advents-“ in der Variantengrammatik des Standarddeutschen. http://mediawiki.ids-mannheim.de/VarGra/index.php/Advent-_/_Advents-

Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache: https://www.dwds.de/

Eintrag für Adventkalender im Online-Duden: https://www.duden.de/rechtschreibung/Adventkalender

Ein Kommentar zu „Adventszeit oder Adventzeit?

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..