Sprachvergleich

Flektierend, agglutinierend, isolierend – Welche Arten von Sprachen gibt es eigentlich?

Wenn man sich die verschiedenen Sprachen der Welt so anschaut, fallen einem viele Unterschiede auf: So funktioniert das Chinesische ganz anders als das Deutsche. Dann gibt es aber auch viele Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Sprachen. Diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten kann man auch systematisch betrachten. Genau das macht die Sprachtypologie, um die es heute geht. Dieses Feld der Linguistik schaut sich also verschiedene Sprachen an, vergleicht sie miteinander und teilt sie in Kategorien ein. Das kann man auf sehr verschiedene Arten und Weisen tun. Wir beschäftigen uns heute mit einer der bekanntesten Aufteilungen von Sprachen. Dabei geht es darum, wie Sprachen grammatische Informationen verpacken: Ob dafür eher einzelne Wörter verantwortlich sind oder ob man dafür Endungen an andere Wörter hängt. Was genau damit gemeint ist, schauen wir uns jetzt an. Das Tolle dabei: Ihr könnt hier viele neue Wörter lernen wie agglutinierend und polysynthetisch. Los geht’s!

Wie teilt man Sprachen in Kategorien?

Sprachen können wir anhand der unterschiedlichsten Kriterien in Kategorien teilen, z.B. kann man schauen, welche Sprache mit welcher verwandt ist. Man kann auch schauen, welche Gemeinsamkeiten Sprachen haben, z.B. welche Laute eine Sprache verwendet und wie diese sich von denen anderer Sprachen unterscheiden.

Man kann sich aber auch anschauen, wie Wörter in einer Sprache verwendet werden. Und das machen wir heute. Wir beschäftigen uns mit der klassischen morphologischen Sprachtypologie. Diese ist schon recht alt und wurde von August Schlegel und Wilhelm von Humboldt entwickelt. Sie findet heute noch breite Anwendung in der Linguistik und ist eine der bekanntesten Einteilungen von Sprachen in Kategorien.

Analytisch vs. synthetisch

Schlegel teilte Sprachen in analytisch und synthetisch ein.

Analytisch bedeutet, dass grammatische Informationen durch einzelne Wörter ausgedrückt werden. Ein Beispiel für eine analytische Konstruktion finden wir im Deutschen: Ich werde in die Schule gehen. Hier wird die Zukunft durch werden + Infinitiv (gehen) ausgedrückt. Werden ist nur im Satz, um das Futur anzuzeigen, trägt aber davon abgesehen eigentlich nichts zur Bedeutung des Satzes bei. Wir haben also einzelne Wörter, die eine grammatische Funktion anzeigen.

Synthetisch bedeutet dagegen, dass grammatische Informationen auch Teil anderer Wörter sein können. Auch hierfür haben wir ein Beispiel aus dem Deutschen: Ich saß auf einer Bank. Hier wird die Vergangenheit innerhalb des Verbs sitzen ausgedrückt. Ich muss also sitzen ändern, um zu markieren, dass es sich um die Vergangenheit handelt. Das ist ganz anders als oben mit Ich werde gehen, da verändere ich gehen überhaupt nicht, stattdessen nutze ich ein weiteres Wort, um die Information Futur zu vermitteln. Bei synthetisches Konstruktionen ändern wir also Wörter, um Grammatik auszudrücken, bei analytischen aber nicht.

Ist das Deutsche jetzt analytisch oder synthetisch? Das Deutsche wird klar zu den synthetischen Sprachen gezählt, auch wenn es analytische Konstruktionen hat. Typisch analytische Sprachen haben nämlich in der Regel keine synthetischen Strukturen.

Von analytischen und synthetischen Sprachen gibt es Untergruppen. Diese wurden von Humboldt geprägt.

Isolierende, agglutinierende und flektierende Sprachen

Isolierende Sprachen sind analytische Sprachen. Grammatische Informationen werden darin also immer mit eigenen Wörtern ausgedrückt. Das bedeutet auch, dass die Wörter dieser Sprachen unveränderlich sind: Es gibt eben keine Suffixe, die man anhängen muss, um zum Beispiel den Genitiv auszudrücken (der Vater, des Vaters). Die Wörter sind jeweils isoliert, daher der Name isolierend. Ein Beispiel für eine isolierende Sprache ist Chinesisch. Während wir im Deutschen Substantive verändern, passiert das im Chinesischen nicht:

Deutsch: Ich gebe meinen Brüdern ein Buch. Meine Brüder freuen sich sehr.

Chinesisch: 我 (Ich) 给 (geben) 我的 (mein) 哥哥们 (Brüder) 一 本 (ein) 书 (Buch)。我的 (mein) 哥哥 们 (Brüder) 很 (sehr) 开心 (glücklich)。

Während sich im Deutschen Brüder je nach Kasus ändert, ist das Chinesische 哥哥们 immer gleich. Dasselbe gilt übrigens für mein (我的): Das muss im Deutschen auch flektieren und im Chinesischen bleibt es immer gleich. Neben Chinesisch sind beispielsweise Vietnamesisch und Thai isolierende Sprachen.

Eine weitere Untergruppe von analytischen Sprachen gibt es nicht. Daher könnte man analytisch und isolierend eigentlich synonym verwenden. Allerdings kenne ich isolierend nur als Bezeichnung für einen Sprachtypus. Analytisch kann man auch für einzelne Konstruktionen einer Sprache verwenden. Zum Beispiel habe ich ja oben gesagt, dass das Futur im Deutschen eine analytische Konstruktion ist. Trotzdem ist das Deutsche eben keine analytische Sprache, weil es dafür zu viel an seinen Wörtern ändert.

Agglutinierende und flektierende Sprachen gehören beide zu den synthetischen Sprachen.

Agglutinierend kommt von lateinsch agglutinare, das ‚ankleben‘ bedeutet. Und genau das machen agglutinierende Sprachen: Sie kleben Endungen an ihre Wörter an oder hängen etwas vor ein Wort. Bei agglutinierenden Sprachen finden wir also ganz viele Präfixe und Suffixe, die eben entweder vor oder hinter ein Wort gehängt werden. Wichtig ist dabei: Ein Präfix oder Suffix hat immer genau eine Funktion!

Ein Beispiel für eine agglutinierende Sprache ist Türkisch. An Beispielen lässt sich gut sehen, wie agglutinierende Sprachen genau funktionieren: Haus heißt auf Türkisch ‚ev‘. Nun verändern wir das Wort einmal, mithilfe von Suffixen:

  • Haus: ev
  • Häuser: ev+ler = evler
  • meine Häuser: ev+ler+im = evlerim
  • in meinen Häusern: ev+ler+im+de = evlerimde

Preisfrage: Wie bildet man in meinem Haus?

Genau: ev+im+de = evimde

Für mich sind agglutinierende Sprachen wie ein Steckkastensystem: Du hast einen Vorrat an verschiedenen Steckverbindungen und jede brauchst du für einen ganz bestimmten Zweck. Neben dem Türkischen zählen beispielsweise Japanisch, Koreanisch und Finnisch zu den agglutinierenden Sprachen.

Die flektierenden Sprachen arbeiten wie die agglutinierenden mit Suffixen. Ein wichtiger Unterschied ist allerdings, dass bei den flektierenden Sprachen die Suffixe oft nicht an ein Wort, sondern an einen Stamm gehängt werden. Das Deutsche ist eine flektierende Sprache, daher haben wir es bei den flektierenden Sprachen leicht mit den Beispielen: Bei ich singe hängen wir das e nicht an das Verb singen, sondern an den Stamm sing. Wir tauschen also ein Suffix (-en) durch ein anderes (-e) aus.

Außerdem kann es in flektierenden Sprachen sein, dass ein Suffix oder Präfix mehrere grammatische Informationen enthält. Zum Beispiel drück -e in singe gleichzeitig aus, dass es sich um die erste Person handelt, und, dass wir im Präsens sind. Ein weitere wichtiger Unterschied zu den agglutinierenden Sprachen ist außerdem, dass wir bei den flektierenden Sprachen den Stamm verändern und damit grammatische Informationen vermitteln können: ich singe im Präsens und ich sang im Präteritum. Das ist bei agglutinierenden Sprachen nicht so. Neben dem Deutschen gibt es noch eine Vielzahl weiterer flektierender Sprachen: Englisch, Französisch, Spanisch und Italienisch sind nur ein paar Beispiele.

Ihr habt vielleicht schon an der Beschreibung der agglutinierenden und flektierenden Sprachen gemerkt, dass diese Sprachtypen nicht trennscharf sind. Beide Sprachtypen nutzen Affixe. Die agglutinierenden Sprachen nutzen das Potential der Affixe aber gründlicher aus als die flektierenden. Bei den agglutinierenden Sprachen kann man richtige Ketten an Suffixen bilden, was in den flektierenden Sprachen ausgeschlossen ist. Das haben wir schon bei in meinen Häusern gesehen: Im Deutschen brauchen wir hier drei Wörter, im Türkischen nur eins evlerimde. Umgekehrt ist der Stamm bei agglutinierenden Sprachen nicht veränderbar, bei den flektierenden hingegen schon.

Ein Hinweis noch zur Terminologie: Oft findet ihr für den flektierenden Typus auch den Ausdruck fusionierend. Damit ist mal wieder dasselbe gemeint. Kritik an flektierend gibt es, weil natürlich auch die agglutinierenden Sprachen nach grammatischen Kategorien flektieren können. Flektierend wird daher als verwirrend wahrgenommen. Fusionierend geht darauf ein, dass die fusionierenden Sprachen eben verschiedene Kategorien fusionieren, während das die agglutinierenden Sprachen nicht tun. Fusionierende Sprachen ist somit genauer, als wenn wir flektierend sagen.

Einer geht noch: der polysynthetische Sprachtypus

Einen Sprachtypus habe ich bislang ausgespart. Dieser wurde von Humboldt als inkorporierend beschrieben, Peter Du Ponceau hat dann den Ausdruck polysynthetisch geprägt. Dieser Sprachtypus wird anders als die oben vorgestellten Sprachtypen isolierend, agglutinierend und fusionierend oft ausgespart. Das liegt vermutlich daran, dass keine der weltweit viel gesprochenen Sprachen polysynthetisch sind. Wie der Name schon vermutet lässt, zählt dieser Sprachtypus zu den synthetischen Sprachen. Er arbeiten also ebenfalls mit Affixen. Allerdings werden die Affixe hier nicht einfach an ein Wort gehängt, sondern an das zentrale Morphem in einem Satz, also an die zentrale Aussage des Satzes. Das ist meistens ein Verb. In solchen Sprachen ist dann jeder Satz eigentlich ein einzelnes Wort. Hier kommt ein Beispiel aus Yupik, einer Inuit-Sprache:

  • Deutsch: Er hat nicht nochmal gesagt, dass er Rentiere jagen geht.
  • Yupik: tuntussuqatarniksaitengqiggtuq
    tuntu -ssur -qatar -ni -ksaite -ngqiggte -uq
    Rentier -jagen -FUT -sagen -NEG -nochmal -3SG.IND

Rentier jagen ist hier die zentrale Aussage und da hängen wir jetzt Stück für Stück alle Informationen ran: Es handelt sich um Futur, das Ganze wurde nicht nochmal gesagt und zwar von ihm.

Alles noch einmal im Überblick:

Uff, das war ganz schön viel! Hier kommt ein Überblick:

Analytische Sprachen ändern Wörter nicht, sondern drücken grammatische Informationen durch einzelne Wörter aus. Isolierende Sprachen sind analytische Sprachen.

Synthetische Sprachen ändern Wörter, um grammatische Informationen zu vermitteln. Dabei kann eine synthetische Sprache aber auch analytische Konstruktionen haben. Es gibt verschiedene synthetische Sprachen:

  • Agglutinierende Sprachen hängen Suffixe an Wörter und funktionieren wie ein Steckkastensystem.
  • Fusionierende (auch flektierende) Sprachen arbeiten auch mit Suffixen, können aber auch ihren Stamm ändern.
  • Polysynthetische Sprachen nutzen das zentrale Element in einem Satz und hängen daran Suffixe, sodass ein Satz ein Wort wird.

Zum Weiterlesen:

Christian Lehmann: Wilhelm von Humboldts Sprachtypologie

Christian Lehmann: August Wilhelm Schlegels Sprachtypologie

Wikipedia: Agglutinierende Sprache

Wikipedia: Flektierender Sprachbau

Wikipedia: Polysynthetischer Sprachbau

Hinweis für Sprachfüchse:

Dies ist ein erster Überblick über Sprachtypologien. Mir ist bewusst, dass man an vielen Stellen noch weiter ins Detail hätte gehen können. Wenn ihr mögt, dürft ihr diese Details gerne in den Kommentaren ergänzen. 🙂

Und noch ein Fun Fact für alle, die noch da sind: Das Beispiel aus dem Chinesischen ist tatsächlich etwas ungenau im Deutschen. Wortwörtlich übersetzt gebe ich das Buch meinen großen Brüdern. Das Chinesische unterscheidet systematisch zwischen älteren und jüngeren Geschwistern: Der große Bruder heißt 哥哥, der kleine 弟弟. Dasselbe bei Schwestern: Die kleine heißt 妹妹, die große heißt 姐姐.

2 Kommentare zu „Flektierend, agglutinierend, isolierend – Welche Arten von Sprachen gibt es eigentlich?

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