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Gespinnt oder gesponnen? Gewebt oder gewoben? – Wann sind Verben schwach oder stark?

Gestern hat der Computer die ganze Zeit rumgesponnen oder doch rumgespinnt? Der Teppich ist aufwendig gewoben oder gewebt? Und hat der Federweißer schon etwas gegoren oder gegärt? Vergangenheitsformen bilden ist gar nicht so leicht und häufig taucht dabei die Frage auf, wie man das Partizip einiger Verben denn nun richtig bildet. Wir werfen heute mal einen Blick auf gären, weben und spinnen und deren Partizipien. Dabei geht es uns wie immer nicht um Richtig oder Falsch, sondern darum, warum es eigentlich mehrere Formen dieser Verben gibt.

Womit haben wir es eigentlich zu tun? Es geht heute darum, wie das Perfekt von Verben gebildet wird. Dafür braucht man ein Hilfsverb (z.B. haben) und ein Partizip (z.B. gesehen): Ich habe dich gesehen. Näheres zum Partizip und zum Perfekt könnt ihr in unserem Blogpost zu Verben nachlesen. Offensichtlich kann man aber bei einigen Verben das Perfekt auf zwei Weisen bilden: Wir können gewebt oder gewoben sagen.

Warum ist das so? Um das zu klären, müssen wir uns erst einmal Verben im Allgemeinen ansehen. Es gibt schwache und starke Verben im Deutschen. Das Partizip von schwachen Verben wird gebildet, indem ge- vorne an das Verb gehängt wird und hinten –t. Aus lachen wird also gelacht ( –en nehmen wir vorher vom Verb weg, weil das die Grundform anzeigt).

Die starken Verben sind hingegen komplizierter. Dabei geht es erstmal einfach los: Auch hier hängen wir vorne ge- ran; hinten hängen wir aber kein –t an, sondern –en. Jetzt kommt der komplizierte Part: Der Vokal im Verb ändert sich: Aus weben wir gewoben.  Diesen Vokalwechsel nennen wir Ablaut. Dabei nimmt nicht jedes starke Verb denselben Ablaut: Es kommt auf das Verb an, wie der Vokal geändert wird: Bei singen bilden wir gesungen, bei reiten bilden wir geritten.

Der Vokalwechsel verändert das Verb ziemlich doll, starke Verben stellen deshalb eine Herausforderung für Sprecher_innen dar. (Falls ihr das nicht glaubt, fragt einfach mal Leute, die Deutsch als Fremdsprache lernen…) Man muss sich ja für jedes Verb merken, wie man es nun ins Perfekt setzt. Weil das für unser Gehirn schwieriger ist, als einfach nur ge– und –t anzuhängen, gehören nur wenige Verben der starken Verbklasse an, während die Mehrheit zu den schwachen Verben zählt.

Die wenigen starken Verben, die wir haben, werden allesamt recht häufig verwendet: Geben und nehmen sind etwa starke Verben. Dadurch lohnt sich der zusätzliche Aufwand für uns wieder: Wir müssen uns zwar extra Formen merken, aber da wir sie so häufig brauchen, ist das nicht schlimm: Weil wir sie ständig benutzen, merken wir uns die Form gut und haben sie sofort parat, wenn wir sie brauchen. Das ist schneller, als der Regel für die Bildung des Perfekts folgen zu müssen, das Wort ist „gebrauchsfertig abgespeichert“, wie Linguist_innen dazu sagen.

Wir nehmen sozusagen eine Abkürzung, die zwar etwas verwinkelt ist, aber schneller zum Ziel führt, anstatt dem normalen Weg zu folgen, der geradlinig ist, aber für den man eben etwas länger braucht. Die  verwinkelte Abkürzung (also das starke Verb) lohnt sich allerdings nur, wenn man sie häufig nutzt. Bei wenig genutzten Strecken ist der normale Weg (also das schwache Verb) besser, hier weiß man genau, was zu tun ist und muss sich keinen komplizierten Weg merken.

Und das ist auch schon die Antwort auf die Frage, warum wir neben gewoben auch gewebt sagen, neben gesponnen auch gespinnt und neben gegoren auch gegärt. All diese Verben sind ursprünglich starke Verben, wir nehmen bei diesen Verben also eigentlich die verwinkelte Abkürzung.

Aber wie häufig sprichst du denn darüber, dass du etwas gewoben oder gesponnen hast oder das etwas gegärt hat? Ich so gut wie nie. Die verwinkelte Abkürzung lohnt sich also für uns gar nicht (mehr): Wir gehen sie nicht so oft, sind uns vielleicht nicht ganz sicher, wo sie entlangführt und nehmen deswegen lieber den normalen Weg. Die ursprünglich starken Verben werden daher schwach.

Das passiert bei vielen starken Verben, die nicht mehr oft genutzt werden: Von ursprünglich ca. 350 starken Verben im Althochdeutschen sind heute 170 übrig geblieben. Du musst dir aber keine Sorgen machen, dass die starken Verben komplett aussterben: Wir haben ja immerhin noch rund 170 davon und die häufig genutzten Verben unter ihnen sind nach wie vor stabil stark. Außerdem entwickeln Verben sich nicht immer von stark zu schwach, es kann auch mal andersherum gehen, wie du im Artikel zu gewinkt und gewunken nachlesen kannst.

Welche Formen sollte ich denn nun nutzen? Die Form, die dir besser gefällt. Gesponnen, gewoben und gegoren sind die älteren Formen, gespinnt, gewebt und gegärt sind neuer. Richtig sind alle.

Zum Weiterlesen:

Augst, Gerhard (1975): Untersuchungen zum Morpheminventar der deutschen Gegenwartssprache. Forschungsberichte des Instituts für Deutsche Sprache, Bd. 25. Tübingen: Narr.

Bittner, Andreas (1996): Starke „schwache“ Verben – schwache „starke“ Verben: Deutsche Verbflexion und Natürlichkeit. (Studien zur deutschen Grammatik, 51). Tübingen: Stauffenburg.